Anthroponomastik

Kotel, Western Wall, Live-Cam (2. Tempel), Jerusalem; vor Jericho, Judäa


1. Einführung:

    Cross, Fromm, Michels, Teßmann - Wo kommen wir her?

 

Die Anthroponomastik beschäftigt sich mit der Erforschung der Herkunft, Bedeutung und Verbreitung von Personennamen. Vor allem die Bedeutung heutiger Familiennamen ist kaum noch auf den ersten Blick erkennbar und kann in die Irre führen. Die Vorfahren der Familie Blödhorn etwa wohnten in einem Haus, das von einer baumbewachsenen Blütenpracht umgeben war: Blödhorn - Blöhdorn - Blühdorn. (Brechenmacher, Bd. 1, S. 163)

Doch angefangen hat alles mit den Rufnamen, den heutigen Vornamen.

  • Im deutschsprachigen Gebiet ist der Übergang von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit spätestens ab dem 12. Jahrhundert belegt. Während es bis dahin genügte, jemanden "Herman" (Rufname) zu nennen, kamen nun Beinamen hinzu, z. B. "Herman der Vrome/Fromme".
  • Gründe hierfür waren neben dem Bevölkerungswachstum, der Bevölkerungskonzentration in den entstandenen Städten auch die wachsende Mobilität (Handel) sowie die Notwendigkeit einer gut organisierten Verwaltung (Abgaben/Steuern), die eine exakte personelle Zuordnung ermöglichen sollte.

Kam man in dieser Zeit in ein benachbartes Dorf oder eine Stadt und fragte nach "Herman", bekam man nicht selten die Antwort: "Ja, welchen Herman meinen Sie denn, Herman den Vromen, den Schünman, den Langschwager oder Herman, den Glatzel?".

So entstanden über Jahrhunderte, mit unterschiedlichen zeitlich-regionalen Ausprägungen, unsere heutigen Familiennamen.

 

Grundsätzlich kann zwischen fünf verschiedenen Gruppen von Familiennamen unterschieden werden:

  • Vatername: Michels - Michelsohn - Michaels Sohn; Jäckel - Jakob.
  • Herkunftsname: Westphal - aus Westfalen Stammender (vgl. Besiedlungsgeschichte Mecklenburgs); Parge - aus Pargow Stammender.
  • Wohnstättenname: Kuhlmann - in der Kuhle/Bodensenkung Wohnender.
  • Berufsname: Schünemann - Schünman - Schüman-  "in de Schün" Arbeitender (bayerisch-österreichische Entsprechung: Stadelmayr); Fickenwirth - Ficke=Tasche, Taschenhersteller; Richter - Richteramt im Dorf, vgl. Dorfschulze.
  • Übername (körperliche/eigenschaftliche Merkmale): Wilde - fremd, wild, ungesittet;
    Sternkiker - "in die Sterne Sehender", Träumer; Flasshaar -  flachsblondes Haar Tragender; Langschwager - ein verwandter Schwager von hohem Wuchs.

2. Ausgewählte Familiennamen A-Z:

    Herkunft, Bedeutung, Verbreitung

 

Besenthal

  • evtl. Flurname oder Ortsname: mit Gestrüpp bewachsenes Tal
  • auch Besendahl

Blievernicht

Burmeister

  • Dorfältester; Bauermeister; auch von mittelhochdeutsch bûr=Wohnung
  • städtische Obrigkeit=Bürgermeister, auch auf ländliche Gemeinden angewandt
  • 1289 Rostock: Godefrid Burmester und Sohn Arnold Burmester (Heintze/Cascorbi S. 132, Bahlow 1972, S. 113)

Cross

  • auch Kross, "Krug, irdenes Gefäß"; Übername für Krosemaker
  • 1330 Stralsund: Nic. Cros (Bahlow 1972, S. 292 f.)
  • In Zusammensetzungen auch als Zechername: vgl. Schwenkkros, Füllekrus, Leerenkraus (ebda)

Danehl

Dittmann

  • umgeformt aus Dietmar
  • 1438 Liegnitz/Schlesien: Peter Dittman (Bahlow 1975, S. 26)

Dohse/Dose

  • in holsteinischen Ritterkreisen mehrfach als Rufname belegt; 1371 Holstein: Ritter Dose Block
  • auch Flurname in Dithmarschen und Holstein: Dosen-Moor bei Dosenbeck (Einfeld/Holstein)
  • 1350 Lübeck: Eler Dose (Bahlow 1972, S. 131)

Erdbeer

 

Eulitz

 

Fickenwirth

Fick

  • auch Vick, niederdeutsche Kurzform zu Friedrich, verschliffen aus Fricke
  • auch als Vorname, um 1560 Rostock: Vicke Schorler (Bahlow 1972, S. 165)

Fink/Finck

  • mittelhochdeutsch vinke, der Fink: ein lustiger Mensch (Heintze/Cascorbi S. 194)
  • 1272 Stettin: Joh. Vinke; 14. Jahrhundert Hamburg: Katarina mit den Vynken (wohl Vogelhändlerin, Bahlow 1972, S. 166 f.)
  • evtl. auch als Eigenschaftsname: "Schwätzer" (ebda)

Flasshaar

Fromm

  • Eigenschaftsname: "der Tüchtige, Ehrbare, Biedere, Fromme". (Bahlow 1972, S. 172)
  • niederdeutsch Frahm (vgl. Herbert Frahm alias Willy Brandt, *1913 Lübeck)
  • 1399 Greifswald: Joh. Vrome
  • als jüd. Name Abkürzung von (A)from =Abraham, Frankfurt a.M. (Heintze/Cascorbi S. 202)

Glatzel

  • Verkleinerungsform von Glatz, "der Kahlköpfige, Glatzköpfige"
  • Breslau 1350: "mit der Glaczen"
  • Glatz auch Ortsname/Flurname: 1.) Grafschaft in Schlesien; 2.) Tirol: Glatz="baumlose Stelle auf kahler Kuppe" (Heintze/Cascorbi S. 218)
  • Iglau/Mähren: 1362 Enderlin Glacz, 1363 Glaczaht, 1369 Hensel Gleczel (Bahlow 1972, S. 44)

Graucin

  • hugenottisch

Hafemeister

  • auch Havemeister, verschliffen Hameister; von Hofmeister, Gutsverwalter
  • Aufseher über die Hofdienerschaft oder die Knechte des Hofes (Heintze/Cascorbi S. 260)
  • 1279 Rostock: Henr. Hovemester; 1535 Stettin: "der homester vam hilgen geiste"
  • aber anders: Schifffahrt/Hafen - 1270 Rostock: Hence havenemester, meint den Hafenmeister (Bahlow 1972, S. 221)

Hallier

  • "aus Hallier, slaw. Ortsname (wo?); vgl. Bannier, Bernier, Polthier, Spazier." (Bahlow 1932, S. 14)

Haubold

 

Herfert

  •  Teilnehmer an einer Heerfahrt, mittelhochdeutsch "hervart"
  • 1381 Freiberg: "hat gelobit eyne herfort czu czihen", 1465 Kreis Neisse/Schlesien: Hans Herferth (Bahlow 1975, S. 59)

Jäckel

  •  von hebräisch Jaakob "der Fersenhalter", d.h. der Nachgeborene, als jüngerer Zwillingsbruder des Esau (Heintze/Cascorbi S. 279)
  • volkstümliche Interpretation: Jäckel in umgekehrter Buchstabenfolge = Lakai, Diener in Livree in einem herrschaftlichen Haushalt (Liebenberg, Schünemann 1996)

Koch

Krienmann(s)

  • auch Kriemann; aus Krien, Kreis Anklam; 1407 Anklam: "her Nic. van dem Cryne" (Bahlow 1972, S. 291)

Kroeger

Kuhlmann

  • auch Kulemann, "der an der oder in der Kuhle (Bodensenkung) Wohnende
  • 1372 Lüneburg: Joh. Kuleman (Bahlow 1972, S. 295)

Kuckuck

Langschwager

Lengerich

 

Lützenhoff

 

Mensen

  • friesischer Personenname Mense (Menso)= Mene (Meno); von Meinhard, Meinward (Bahlow 1972, S. 323);
  • 1322 Greifswald: Joh. Mentseke; 1382 Bremen: Mense Platenslegere; noch in der Neuzeit: Calvinist Menso Alting, Ostfriesland (Bahlow 1932, S. 21)

Meyer

  • Bewirtschafter/Pächter eines Gutes: "Aus Westfalen stammender Familienname, wo das Meiertum zu Hause ist. In Mecklenburg dafür Hofmeister (Hovemeister) und Hofmann (Hoveman); (Bahlow 1932, S. 20)
  • von lat. major, im Sinne von major villae, zunächst Verwalter eines Landgutes. Dieser "villicus" hatte später zur Verwaltung seiner Höfe einen Unter-Villicus oder mehrere, für bestimmte Aufgaben vorgesehene Villici.
  • Seit dem 11. Jahrhundert "entstand bei der Bemeierung eine Art Lehnverhältnis, wobei der Herr gelobte zu schützen, der Villicus treu und hold zu sein". Wenn auch selten ausgeübt so hatte der Herr auch das Recht der Abmeierung, d.h. einen Meier von seinem Hof zu "entbinden"  (Heintze/Cascorbi S. 344 ff.)
  • Haupthöfe wurden gegen Pacht durch das Meierrecht zerstückelt, dadurch sowie durch Waldrodungen und Vererbung entstanden unzählige weitere Höfe, deren Besitzer Meier/Meyer hießen. (ebda)
  • Schreibweise: in Norddeutschland bis in das 19. Jahrhundert weitaus mehr Meyer als Meier, in Süddeutschland: Maier, Mayer, Mayr.

Methling

  • ursprünglich gotisch mapl, althochdeutsch mahal: Versammlungs-, Beratungs-, Gerichtsplatz des Volkes (Heintze/Cascorbi S. 342)
  • aus (Groß-)Methling bei Gnoien/Mecklenburg stammend; 1281 Rostock: Conr. de Metleke. (Bahlow 1932, S. 21)
  • um 1645 Rostocker Wulfshagen: "MEDLING", Fensterglasmalerei; "CHIM MEIDLING", Stifter eines Zinn-Leuchters (1609, umgegossen 1643) (Schlie 1896, I. Bd., S. 368)

Michels

Moeller

  • niederdeutsch für Müller; sehr häufig, auch in Zusammensetzungen, da sich an manchen Orten mehrere Müller befanden (Heintze/Cascorbi S. 358)

Päpcke

  • Pfaffe: "im Mittelalter noch nicht abgewertet; auch auf Beziehungen zur Kirche oder Geistlichkeit deutend, wie der Papenbur (der Bauer auf kirchlichen Gütern)"; (Bahlow 1972, S. 353)
  • lat. molinarius, zu molina "Mühle"; 1300 Lübeck: Joh. Molnere (Bahlow 1972, S. 328)

Parge

Richter

  • mittelhochdeutsch rihtaere
  • im Mittelalter etwa gleichbedeutend mit Schulze, der das Richteramt im Dorfe innehatte (Heintze/Cascorbi S. 401)

Schildt

  • Übername vom Beruf "Schilder": Schildmacher, Schildmaler, der die Schilde mit Wappen bemalte; daher auch schildern="ausmalend beschreiben" (vgl. niederländ. schilderen=malen)
  • 1296 Hamburg: Joh. Schilt=Joh. Schildere pictor (Maler); (Bahlow 1972, S. 411 f.)
  • auch Haus- und Flurname (dreieckiges Stück); (Heintze/Cascorbi S. 420)

Schwenn

Schünemann

  • niederdeutsch für Scheunemann; 1325: Greifswald Schuneman, 1616 Berlin: "Hans von der Scheune" (Heintze/Cascorbi S. 419);
  • "in de Schün/an der Scheune" Wohnender oder in ihr Beschäftigter; 1287 Rostock: Joh. Schüneman; 1412 Hannover Merten Schüneman; 1466 Kiel: Detlef Schüneman (Bahlow: 1932, S. 26; 1972, S. 437)
  • "Besitzer einer Scheune [...] 'iohannes scuneman' (1287)" (Wossidlo/Teuchert S. 218)
  • Meckl. Sprichwort: "Mai käuhl un nat Füllt den Buer Schün un Fatt"; Redewendung: "die is hell as ne afgedeckte Schün" ironisch vom Klugen; (ebda)

Siebahn

 

Sternkiker

Teßmann

  • Tes-, Tesch-, Teß-, Tech: von slawisch Tech; zu têcha, utêcha "Trost", têsiti "trösten" (Heintze/Cascorbi S. 475, 477); vgl. russ. утешительный "Trost-")
  • Familiennamen: Teßmann, Tesmer, Teske, Tetzlaff.
  • slaw. Personenname Tesimer (teha=Trost). (Bahlow 1932, S. 28)

Töppel

  • evtl. von niederdeutsch Topp, "Spitze, Wipfel"; vgl. "über die Toppen flaggen"; oft auch Zopf; Hamburg 1269: Alardus Top. (Bahlow 1972, S. 501)
  • um 1645 Rostocker Wulfshagen/Ribnitz: "H. MATTAEUS TOPPELIUS", Pastor zu Ribnitz, Name in Fensterglasmalerei der Kirche zu Rostocker Wulfshagen (Schlie 1896, I. Bd., S. 368)

Vieth

  • auch Vietken, Vietjen: der heilige Vitus (Veit); (Bahlow 1972, S. 514)

Vorbeck

  •  in Zusammensetzung zur Bezeichnung des Wohnortes einer Person: Vorbach, Vorbeck; (Heintze/Cascorbi S. )

 Westphal

  • ein "Westfale" (Heintze/Cascorbi S. 514)
  • "Meist auf Herkunft aus Westfalen deutend, mitunter auch nur auf Beziehungen (geschäftlicher Art) und auf Reisen dorthin [...] Anteil Westfalens an der Besiedlung Mecklenburgs und Pommerns und am Handelsverkehr nach den Seestädten der Ostsee." (Bahlow: 1932, S. 31; 1972, S. 535)

 Wilde

Witt

  • der Weiße, Weißhaarige, Weißblonde; vgl. 1300 Lübeck: Snewitte (Bahlow 1972, S. 544)

Zander

  • Kurzform zu Alexander; auch Sander (Bahlow 1932, S. 32)
  • 1) von Sander, altnordisch sannr: wahr, das Wahre, Rechte; 2) Alexander; 3) "Zahnzieher"; 4) Flurname: "der vom Zahn" (Zinken, Berspitze); (Heintze/Cascorbi S. 527)